Als Dozent für digitales Bauen bereitet Adrian Wildenauer den Nachwuchs der Branche auf die Herausforderungen des digitalen Wandels vor. Im Interview spricht er über neue Formen der Lehre, Vertrauen als Basis für Zusammenarbeit und seine Erwartungen an CRB.
Interview: Michael Milz | 03.04.2024
Adrian Wildenauer, Ihr Motto lautet «Den digitalen Wandel selbst gestalten statt verwalten». Was meinen Sie damit?
Ich habe den Eindruck, dass wir in der digitalen Welt vermeintlich immer ein bisschen hilflos sind – wie der Hase, der vor der Schlange steht. Wir müssen das Heft in die Hand nehmen und können nicht darauf hoffen, dass bewährte Rezepte aus der Vergangenheit für die Zukunft taugen. Im digitalen Bereich gibt es nur Schwarz oder Weiss, im analogen hingegen alle Abstufungen von Grau. Und während man sich im Analogen auch ein bisschen durchmogeln kann, funktioniert das im Digitalen nicht mehr. Es geht beim digitalen Wandel darum, Mehrwerte zu generieren. Ich sage meinen Studierenden immer: Wenn wir aus etwas keinen Mehrwert generieren können, ist es besser, es nicht zu machen.
Welche Erwartungen bezüglich der Gestaltung des digitalen Wandels haben Sie an CRB?
Standards müssen nicht erst komplett zu Ende entwickelt auf den Markt kommen. Um hier schneller zu werden, müssen Standards modularer werden. Der eBKP-T ist ein gutes Beispiel dafür: Als er 2017 auf den Markt kam, umfasste er eben nicht alles, wurde aber trotzdem angewendet. Ich denke, dass man durch sukzessives Weiterentwickeln in der Standardisierung und Modularisierung speditiver sein kann.
Sie arbeiteten bei den SBB als Leiter BIM Standardisierung und Branchenaktivitäten. Wie haben Sie dieses Motto dort umgesetzt?
Standardisierung ist aktives Gestalten. Wenn ich die Standards miterstelle und mitgestalte, alle Beteiligten abhole und diese auch bereit sind, die Standards umzusetzen, ist das aktives Gestalten. Wir haben bei den SBB sehr viel investiert, um in den Standards aktiv mitzubestimmen und alle Beteiligten einzubinden. Damit haben wir auch die Hemmschwelle für den Einsatz von Standards im digitalen Kontext gesenkt. Das Gestalten des digitalen Wandels äussert sich genau darin, dass man den Elefanten in kleine Häppchen zerlegt.
Und wie setzen Sie es als Dozent für digitales Bauen an der Berner Fachhochschule BFH um?
Ich muss Studierende dafür begeistern, dass sie digitale Themen auch wirklich angehen und in der Lage sind, sie selbstständig zu bearbeiten. Dafür müssen wir auch die Lehre neu denken im Sinne von: nicht reine Vorlesungen halten und erwarten, dass das Wissen aus der jeweils letzten Vorlesung in den Köpfen der Studierenden ist. So mag es früher funktioniert haben. Mittlerweile sind wir so reizüberflutet, dass wir die wichtigen Informationen gar nicht mehr rausfiltern können.
Stichwort Future Skills: Welche Fähigkeiten werden in naher Zukunft in der Baubranche gebraucht?
Es gibt nicht den einen Future Skill, und dann läuft alles wie geschnitten Brot. Eine Fähigkeit ist die Nutzung von Werkzeugen: Wir müssen digitale Werkzeuge so einsetzen können, dass wir nicht nur überzeugend kommunizieren, sondern die Anwendung auch kritisch hinterfragen und verbessern können. Zusammenarbeit ist ein weiteres Thema. Zudem müssen wir die Fähigkeit entwickeln, zielgerichtet zu recherchieren und eine sinnvolle Auswahl der wesentlichen Informationen zu treffen. Ich nenne das Informationsverwesentlichung. Wir müssen die Bedeutung von Informationen begreifen und komplexe Sachverhalte und grosse Datenmengen in Konzepte übersetzen können. Ein weiteres Thema ist die Fehlertoleranz: Weil alles getrackt wird – wie gehen wir in Zukunft mit Fehlern und Unstimmigkeiten um?
Wie bereiten Sie Ihre Studierenden heute auf die Herausforderungen der Bauwelt von morgen vor?
Für mich geht das nur über Projektwochen, Projektbeispiele und über konkretes Doing. Im CAS «Digital Planen, Bauen, Nutzen – Digitale Transformation als Chance», das ich aktuell leiten darf, bekommen die Studierenden konkrete Aufgabenstellungen von realen Projektpartnern, die sie dann bearbeiten und die nicht einfach mit ChatGPT zu lösen sind. Früher sah ein Vormittag an der Hochschule so aus: 90 Minuten Statik, 90 Minuten Bauphysik, 90 Minuten Architektur – aber wir redeten nicht miteinander! Das brechen wir mit einem kombinierten Kurs auf, in dem alle Disziplinen miteinander zu tun haben.
Und was sollten sich bereits in der Praxis stehende Berufsleute noch aneignen, um gewappnet zu sein?
Grundsätzlich sollten sie mit einer gesunden Portion Neugierde an die Sache herangehen. Wir erleben oft eine gewisse Ablehnung digitalen Themen gegenüber, statt es einfach mal auszuprobieren – es fehlt eine gewisse Leichtigkeit im Umgang. Man kann nicht einfach den ganzen Laden auf links kehren, und schon ist man BIM-fähig. Es braucht eine Politik der kleinen Schritte. Die fehlende Akzeptanz hat vielleicht auch damit zu tun, dass es in den letzten Jahren sehr gehypt wurde, und dann kam nicht so wirklich was.
Um die künftigen Herausforderungen der Branche bewältigen zu können, wird gerne davon gesprochen, mehr zusammenzuarbeiten. Wie sieht das aus Ihrer Sicht aus?
Man hat es lange vermieden, zusammenzuarbeiten, weil man es schlicht nicht musste. Jetzt kommt dieser digitale Gedanke und damit das Thema der Transparenz auf – plötzlich ist sichtbar, wer in welcher Zeit wie viel gemacht hat. Eine Zusammenarbeit unter diesen Voraussetzungen funktioniert aber nur über genügend Vertrauen. Wir sollten eine wirkliche wertige Zusammenarbeit pflegen, indem wir Wissen teilen und anderen helfen.
Wie schätzen Sie das Thema der digitalen Transformation in der Baubranche ein? Und inwiefern kann CRB hierzu einen Beitrag leisten?
Eigentlich ist die Schweiz die Blaupause für digitales Bauen: Wir haben vier Landessprachen, sind international bestens vernetzt und jedes Jahr an der Spitze des Rankings der zehn innovativsten Länder nach dem Global Innovation Index. Wir haben verlässliches und schnelles Internet, pünktliche Züge, vermutlich die beste Infrastruktur in Europa – und dennoch schaffen wir es nicht so recht, im Kontext der digitalen Transformation Fuss zu fassen. Wir müssen die europäischen Entwicklungen im Auge behalten, weil wir in starkem Austausch mit unseren Nachbarländern sind. Da würde ich mir wünschen, dass CRB mehr in die Vermittlung geht und die Angst nimmt im Sinne von: Liebe Planende und Hersteller in der Schweiz, das kommt auf euch zu – wir helfen euch, wir sind dran.
Im Rahmen der SOLID BIM Konferenz im September 2023 haben Sie mit der Aussage «BIM ist tot, es lebe das Informationsmanagement» provoziert. Ist BIM wirklich tot? Und warum?
Ich war sehr provokativ in diesem Artikel, weil wir es immer noch nicht fertiggebracht haben, gemeinsame Grundlagen für BIM zu schaffen. BIM und Informationsmanagement gehören zusammen, wenn man es richtig macht und durchgängig betrachtet. Für mich ist Informationsmanagement die Grundlage für BIM. Grundsätzlich brauchen wir beim Informationsmanagement gute Kommunikation. Und diese Kommunikation müssen wir vermutlich erst noch lernen im digitalen Kontext, weil sie anders ist – sie ist direkter und schneller. Wir müssen Aufgaben, Verantwortung und Kompetenzen sauber verorten und das Informationsmanagement hinsichtlich Kommunikation, Koordination, Kooperation und Kokreation neu denken. Da sind wir mit BIM nicht besonders weit gekommen.
Unterstützt ein Tool wie der BIM-Profil-Server das Informationsmanagement?
Ja, aber wir sollten auch hier stärker in die Aufklärung und die Anwendung gehen und erklären, warum es den BIM-Profil-Server braucht. Wenn ich mit Beteiligten spreche, ist der BIM-Profil-Server oftmals unbekannt. Es reicht nicht zu sagen, dass es ein bestimmtes Tool gibt – wir müssen vor allem erklären, welches Problem mir das Tool in meinem konkreten Projekt löst.
In einer Baublatt-Kolumne vom März 2023 sprachen Sie von der «Standardisierung als Treiber der digitalen Transformation». Was wünschen Sie sich zusätzlich von CRB als Standardisierer?
Von den CRB-Hilfsmitteln wünsche ich mir eine deutlichere Durchgängigkeit der Daten vom Wettbewerb bis zur Abnahme. Ich glaube, dass wir vermehrt ins objektbasierte Arbeiten gehen, zumindest im Hochbau. Ich sehe da CRB mehr und mehr als Vermittler. Konkret wünsche ich mir von CRB eine Art Konfigurator: Ich habe das und das Problem, welcher Standard hilft mir? Aktuell sind viele überfordert, weil sie gar nicht wissen, welches Tool wofür zuständig ist. CRB sollte nicht nur der Standardisierer, sondern auch der Vermittler der Standards sein.
In Ihren Publikationen taucht immer wieder der Begriff des lebenszyklusbasierten Datenmanagements auf. Was ist darunter genau zu verstehen?
Wir müssen Daten nicht nur für die Planung und die Realisierung denken, sondern auch für den Unterhalt. Je nach Betrachtungsweise fallen für Unterhalt und Betrieb 60 bis 90 Prozent der Kosten an. Entsprechend müssen wir das Informationsmanagement so strukturieren, dass wir die Daten dann verwenden können, wenn sie benötigt werden. Vielleicht führt das dahin, dass wir Projekte ganz anders strukturieren müssen, und da würde ich auch CRB als grossen Ideengeber sehen. Es gibt von CRB mit der Villa R ein Projekt, das komplett durchstrukturiert ist und digital gebaut werden kann. Was hindert CRB, das auf weitere Projektarten auszurollen? In der Villa sind alle Informationen so enthalten, wie man sie braucht, um das Gebäude zu realisieren und auch später zu betreiben, in diesem Fall mit ProLeMo plus. Das ist lebenszyklusbasiertes Daten- und Informationsmanagement: Daten nur einmal generieren und dann verwenden, wenn sie aktuell und relevant sind. Ich bin davon überzeugt, dass wir die zwei- bis dreitausend Normen im Bau gar nicht alle brauchen können, wenn wir nicht mit digitalen Hilfsmitteln arbeiten. Zum Informationsmanagement gehört auch, dass wir Gebäude optimieren können – und vielleicht auch besser und kostengünstiger bauen können, weil wir aktuell Gebäude für hundert Jahre planen und bauen, aber schon nach vierzig Jahren wieder abreissen …
… was ja nicht sehr nachhaltig ist.
Genau. Deshalb würde so ein lebenszyklusbasiertes Informationsmanagement auch die Nachhaltigkeit unterstützen, indem man nicht zu viele Ressourcen in ein Gebäude steckt. Dank Informationsmanagement kann ein Gebäude für den geplanten Zeitraum optimiert werden. Das ist für mich der grösste Nachhaltigkeitshebel.