Objekte über die ganze Wertschöpfungskette dokumentieren

In den ersten beiden Teilen dieser Serie stand die operative Nutzung von werk-material.online im Vordergrund. Der Entscheid, die Kennwerte-Plattform zu nutzen, ist jedoch ein strategischer, der auf der Führungsebene gefällt werden muss. Der abschliessende dritte Teil zeigt auf, warum die umfassende Dokumentation von Objekten zu verschiedenen Zeitpunkten wichtig ist: Stehen Daten strukturiert zur Verfügung, lassen sich Vergleiche schneller, zielgerichteter und präziser erstellen.
Text: Dr. Urs Wiederkehr, Bauingenieur und Leiter des Fachbereichs «Digitale Prozesse» beim SIA | 14.12.2023

«Etwas erfinden heisst, es in etwas bereits Bestehendem zu entdecken», stellt der britische Ökonom William Brian Arthur (*1945) fest. Etwas Neues ausdenken und gestalten, die Hauptaufgabe der Planenden, setzt also voraus, das Bestehende zu kennen, zu verbessern oder in neuem Kontext anzuwenden, bis die anvisierten Ziele erfüllt sind. Das entspricht einem zirkulären Prozess. Heute hat sich die Meinung durch-gesetzt, dass die grundlegenden Erfindungen gemacht sind, und insbesondere durch Verknüpfung und Kombination von Bestehendem Lorbeeren geholt wer-den können. So hat sich Kary Mullis 1993 in seiner Nobelpreisvorlesung verwundert gezeigt und konnte es kaum glauben, dass vor ihm niemand auf die Idee gekommen ist, bekannte Analyseverfahren in der Biochemie in eine andere Reihenfolge zu stellen und so die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) zu «erfinden». In der Wissenschaft ist es zwingend, Forschungsresultate detailliert zu dokumentieren, damit sie von anderen Institutionen nachvollzogen werden können und Neues entwickelt werden kann. Leider fehlt im Bauwesen oft das Verständnis oder die erforderliche Vergütungsregelung, aber auch die Zeit für das Ausarbeiten einer vollständigen Dokumentation.

Eigene, aber auch fremde Erfahrung nutzen 

In Dokumentationen steckt viel Erfahrung. Zusätzlich kann man auf eigene, nicht schriftlich festgehaltene Erfahrungen zurückgreifen. Möchte man aber fremde Erfahrungen einbeziehen oder die eigene im Projektumfeld anderen zur Verfügung stellen, so müssen möglichst viele Zusammenhänge präzise und nachvollziehbar dokumentiert werden. Dazu werden Informationen zu wichtigen Sachverhalten verbindlich festgehalten, indem man sie beschreibt, Passendes fotografiert oder zeichnet sowie andere Belege benutzt, um für die dauerhafte Nachvollziehbarkeit der Beziehungen ein Abbild zu schaffen. Hier kommt werk-material.online ins Spiel.

Jede Niederschrift ist eine punktuelle Aufnahme eines bestimmten Zustands zu einem definierten Zeitpunkt. Und ist die Dokumentation unvollständig oder gar unkorrekt, kann das weitreichende Folgen haben, sei es bei der Planung oder bei Entscheidungen, die darauf basieren. Bei vielen Online-Dokumentationen werden wertvolle Informationen über-schrieben, weil sie nicht parallel zu den vorausgehenden erhalten werden können. Sie sind damit für spätere Analysen für immer verloren. Deshalb erlaubt werk-material.online eine mehrfache Erfassung derselben Objekte in unter-schiedlichen Zuständen. Der dadurch entstehende Benefit ist beachtlich, wird aber leider noch zu wenig genutzt.

Sammeln ist ein Urtrieb des Menschen. Zu viel Gesammeltes kann aber zu einer nicht mehr kontrollierbaren Unübersichtlichkeit führen. «Man muss eben alles sammeln», hat der spätere Professor für Botanik an der Universität Zürich, Hans Schinz (1858-1941), 1885 seiner Mutter geschrieben. Er hat damit seine plötzliche Flucht aus Deutsch-Südwestafrika begründet, denn seine Methoden des Sammelns hatten den Zorn der Einheimischen auf sich gezogen. Schon zu Hans Schinz’ Zeit war es schwierig, im Voraus abzuschätzen, welche Wissensexponate es wert sind, für spätere Generationen überliefert zu werden. Obwohl man damals noch nicht von «Big Data» gesprochen hat, war es Schinz bewusst, dass er aus den vielen Exponaten, die er aus Afrika nach Hause gebracht hat, die wirklich benötigten und erhaltens-werten herausfiltern muss. Hier könnte man im übertragenen Sinn von «Smart Data» sprechen – Daten also, die für den nachfolgenden Gebrauch nützlich und umfassend anwendbar sind.

 

Die sechs Dimensionen von «Big Data» 
Sowohl bei Schinz als auch bei werk-material.online können die sechs Dimensionen von «Big Data», je mit dem Buchstaben «v» beginnend, pragmatisch angewendet werden: Die Selektion aus einem grossen Datenvolumen («volume») ermöglicht später eine repräsentative Auswahl. Die Geschwindigkeit («velo-city»), mit der die Daten generiert und zeitnah zur Verfügung gestellt werden, ist massgeblich für die Akzeptanz. Aber auch die Vielfalt von verschiedenen Objekttypen («variety») wird von den Nutzenden gewünscht, sei es im Museum oder auf einer Bauobjekte-Datenbank. So werden auf werk-material.online pro Monat mindestens zwei neue, aktuelle Objekte publiziert. Weiter war die Echtheit der Daten bzw. Exponate («veracity») schon für Schinz von grosser Bedeutung: Auch werk-material.online basiert da-rauf, dass die Nutzer den Wert der Daten («value») erkennen und sich dank den anerkannten Herausgebern auf deren Richtigkeit («validity») verlassen können.

«Alles sammeln» kann werk-material. online nicht, aber es liefert eine gemein-same, anerkannte Basis, quasi ein Raster als Ordnungselement, um beim Datenerfassen die Übersicht und die Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Die Projektleitung baut bei neuen Erkenntnissen und Bedürfnissen das Erfassungsraster mit den klar definierten Attributen (Eigenschaften) regelmässig aus. Die Datenmenge von werk-material.online darf nicht statisch bleiben, sondern sie muss laufend ausgebaut werden. Das gelingt durch gemeinsames Handeln unter Beteiligung aller involvierten Nutzenden. In diesem Sinne ist das Anwenden dieser Objekt-Datenbank ein Geben und Nehmen der Service-Nutzenden, denn ohne vorhandene Objekte kann nichts zum Vergleichen angeboten werden. Die breit abgestützte Bereitschaft zum Mitmachen ist fundamental für das Funktionieren des Systems «Objektvergleich». Gefordert ist eine integrierte Arbeits-weise als nahtlose Verbindung der interessierten Kreise, quasi eine Projektallianz der Interessierten, um nutzbaren Datenbestand aufzubauen so-wie über die Zeit aktuell und nutzenswert zu halten. Dazu braucht es Anstrengungen, abgeschlossene Objekte nachträglich zu erfassen oder, noch besser, ganze Sammlungen solcher Objekte in die Datenbank zu übertragen.

 

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Die Weitsicht der Redaktion «werk, bauen + wohnen» ist mustergültig: Schon vor über 40 Jahren hat sie mit den damals verfügbaren Mitteln mit Sammeln begonnen. Dank diesem analog überlieferten Datenschatz und unter Nutzung umfangreicher Statistikanwendungen und aktueller Analyse-Tools liefert werk-material.online verlässliche und nach-vollziehbare Kennwerte zu allen Baugattungen. Merke: Mit systematischem Sammeln kann nie zu früh gestartet werden!

Weiter gilt es, interessante Objekte früh-zeitig, also noch vor der Fertigstellung, zu erkennen. Der SIA überprüft gegenwärtig, ob bereits bei der Programmbegutachtung für Wettbewerbe und Studi-enaufträge interessante Objekte erkannt und dann während ihrer Entstehung publizistisch und analytisch begleitet wer-den können. Auf diese Weise würde das volle Potenzial ausgeschöpft und die wesentlichen und damit für Dritte wertvollen Daten könnten zeitgerecht gesichert und aufbereitet werden.

Selbstverständlich erfolgt diese Begleitung des Projektfortschritts freiwillig und nur mit dem Einverständnis der in-volvierten Kreise. Da bei jedem publizierten Objekt die Quelle, also der genaue Anbieter, bekannt ist, können die Anwendenden entsprechende Selektionen per Filter vornehmen und ihre bevorzugten Datenlieferanten auswählen. Diese vollständige Transparenz, die werk-material. online von allen vergleichbaren Diensten anderer Herausgeber unterscheidet, schätzen viele Nutzerinnen und Nutzer.

Eine solche Transparenz führt oft zu Ängsten, dass Bauten eins zu eins kopiert werden, dass also Plagiate davon entstehen. Die Kreativität besteht aber gerade darin, aus bestehenden Gegebenheiten unerwartete neue Kombinationen zu erstellen. Hier spielt der Ehrgeiz von Planenden mit, die eigene und möglichst unverwechselbare Handschrift zu entwickeln und anzuwenden. Man denke an William Brian Arthurs Bonmot ...

In verschiedenen Projektphasen werden Daten intensiv erhoben, aber auch Dritten zur Verfügung gestellt, sodass diese ihre eigenen Analysen, Auswertungen, Berechnungen und Überlegungen an-stellen können – sei es für das Ausstellen einer Bewilligung, eines Nachweises oder eines Entscheids in Bezug auf das weitere Vorgehen. Diese Daten sind für vertiefte Überlegungen von grossem Interesse. Wissen über die Entwicklung der Projekte relativ zu den einzelnen Phasen, z.B. die Verteilung der Flächen oder die Terminfestlegung, kann eine hilfreiche Grundlage für nachfolgende Arbeits-schritte sein, z.B. bei der Anwendung der von der ETH und dem SIA entwickelten «Value app» zur Ermittlung des Werts der dahintersteckenden intellektuellen Dienstleistung.

werk-material.online unterstützt die mehrfache Erfassung desselben (Bau-) Objekts unter Nennung des Zustands bzw. des Zeitpunkts der Datenaufnahme. Solche Zeitpunkte können die Abschlüsse von SIA-Phasen oder -Teilphasen sein. Auch die Resultate aus speziellen Datenerhebungen bei markanten Meilensteinen wie das Einholen des Projektkredits, die Ausstellung der Baubewilligung oder die Inbetriebsetzung können verwendet werden. Die zum selben Objekt gehörenden Datenerfassungen können miteinander verknüpft werden.

Dokumentieren ist eine nachhaltige Sache 

Der Begriff «nachhaltig» wird heute auf den sächsischen Beamten Hans Carl von Carlowitz (1645–1714) zurückgeführt, der diesen 1713 in seiner Hauptpublikation «Sylvicultura oeconomica, oder hausswirthliche Nachricht und Naturmässige Anweisung zur wilden Baum-Zucht» verwendet hat, um die Wertschöpfungskette «Holzversorgung» als «beständig», «immerwährend» oder «continuierlich» zu beschreiben. Nach heutigen Begriffen war von Carlowitz als «Supply-Chain-Manager» für die Versorgung der Berg-werke und Hütten mit Holz und Holzkohle im Kurfürstentum Sachsen verantwortlich. Weil seine Nachfrage nach Holz oft in Konkurrenz zu anderen Bedürfnissen stand, hat er detaillierte Überlegungen zur Entwirrung dieses Verteilungskonflikts angestellt und die ganze Lieferkette des Holzes im Detail betrachtet.

Auch bei Daten und Erfahrung ergibt sich eine Lieferkette; die Daten werden im Gegensatz zu Holz aber nicht verbraucht, sondern stehen anschliessend wieder vollumfänglich zur Verfügung. So bilden auch sie einen Kreislauf, haben Abhängigkeiten und eilen bei der Projektierung der Ausführung voraus. Beim digitalen Planen sind die Daten so aufbereitet, dass daraus mit den passenden Werkzeugen eine effektive Ausführung gewährleistet ist. Die Daten sind dabei beständig und während des ganzen Lebenszyklus einer baulichen Anlage interessant. Sie sind mit Vorteil kontinuierlich zu erfassen, und mit ihnen ist pfleglich umzugehen, um ihre Verlässlichkeit zu gewährleisten.

Fachliche Unterstützung und Austausch 

Die Nutzerinnen und Nutzer von werk-material.online werden nicht allein gelassen. Derzeit ist eine Online-Community im Aufbau. Sie wird die Möglichkeit bieten, sich über aktuelle Themen rund um die Kennwerte-Plattform auszutauschen, Fragen zu beantworten sowie auf neue Objekte und Anwendungsfälle aufmerksam zu machen. Die Community wird moderiert, und die Fachleute hinter werk-material.online werden fallweise zugezogen. Je nach Situation werden auch Webinare, Videos, Hilfsdateien und weitere Unterstützungsmedien eingesetzt, um die in der Community gewonnenen Erkenntnisse allen Anwendenden zur Verfügung zu stellen und den Einsatz der Plattform zu erleichtern.

 

Fazit

Es lohnt sich auf jeden Fall, den derzeit verfügbaren Wissensstand zur Kenntnis zu nehmen, auszunutzen und darauf basierend das Neue zu entwickeln. werk-material.online hilft dabei, die Dokumentation über den ganzen Lebenszyklus einer baulichen Anlage transparent zu pflegen und beim Eintreten von neuen Zuständen und Situationen passend zu reagieren. Das vollständige Erfassen der Daten ist zwar mit einem gewissen Initialisierungsaufwand verbunden. Führt man diese Tätigkeit aber gleich dann aus, wenn die Daten anfallen, so ist das effizienter, als zu warten, bis eine grosse Datenmenge abgearbeitet werden muss.

Das einheitliche, auf einem festgelegten Raster aufgebaute Sammeln ermöglicht im Handumdrehen wertvolle Vergleiche und Resultate, die bei individuellen und ungeordneten Ablagen undenkbar sind. In diesem Sinne braucht es den sofortigen Entscheid, werk-material.online unmittelbar anzuwenden, sei es, um eigene Bauobjekte verlässlich mit Best Practice zu vergleichen oder um eigene Bauobjekte verlässlich zu modellieren, zu schätzen, zu dokumentieren und Dritten zur Verfügung zu stellen. Nur so entfalten moderne digitale Arbeitsinstrumente ihren vollen Nutzen für die Bauwirtschaft.

 

werk-material.online an der Swissbau

In der CRB-Lounge an der Swissbau in Basel stehen die CRB-Experten für Fragen und eine individuelle Demonstration der Kennwerte-Plattform werk-material.online gerne zur Verfügung. Ebenfalls an der Swissbau gibt es einen Praxis Talk mit dem Titel «werk-material.online – Gemeinsam Bauprojekte dokumentieren gegen Wissensverlust» mit Urs Wiederkehr und Andreas Loscher vom SIA,  Lucia Gratz von werk, bauen + wohnen sowie György Orbán und Sebastian Schock von CRB. Die Datenbank «werk-material.online» digitalisiert veröffentlichte Bauprojekte aus dem Magazin werk, bauen + wohnen sowie Kennwerte von CRB und dem Bundesamt für Statistik BFS und macht sie miteinander vergleichbar. 

Während bisher Daten über die Kosten der Projekte im Fokus standen, ist in  Zukunft eine Abdeckung des gesamten Bauprozesses nach Norm SIA 112 Modell Bauplanung möglich. Auch kleine Planungsbüros können sich so gemeinsam einen Wissensfundus aufbauen, der ihre Erfahrungen bündelt. Alle sind eingeladen, mit ihren Daten zu diesem Projekt beizutragen. Die Macher der Plattform diskutieren zusammen mit Praktikern über Visionen für die zukünftige Entwicklung der Datenbank.

Donnerstag, 18.1.2024, 11–12 Uhr, Arena, Swissbau Focus, Halle 1.0