Viele fühlen sich von neuen Technologien überfordert und bedroht. Das Tempo der Innovationen ist hoch, die Komplexität der Prozesse steigt. Der Wechsel der Generationen bringt einen Wertewandel mit sich. Das alles führt zur Frage: Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Teil 1 beleuchtet aktuelle Trends und stellt Auswirkungen und Entwicklungsmöglichkeiten für Unternehmen dar.
Text: Johannes Herold* | 16.12.2024
«Die Baubranche leidet seit Langem an stagnierender Arbeitsproduktivität. Zusätzlich steigt die Komplexität bei Bauprojekten stetig.» (Nora Dainton, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW) – «Gleichzeitig hat der Kostendruck zugenommen, der Fachkräftemangel verschärft sich, die Umwelt sowie Nachhaltigkeit spielen eine immer wichtigere Rolle.» (Claudia Bühler, Marti AG)
Wir erleben Umbrüche in verschiedensten Bereichen, Entwicklungen gehen rasend schnell vor sich. Auf die Ungewissheit über die nächsten Schritte folgt die Angst, falsch zu entscheiden. KI, Klima, Krisen, Kriege und Katastrophen sind global und wirken dennoch bis in persönliche Bereiche hinein.
Im Focus-Beitrag «Kompetenzen für die Bauwirtschaft 2030» an der Swissbau 2024 umriss die Direktorin von Bauenschweiz, Cristina Schaffner, die aktuelle Situation mit diesen Worten: «Grundsätzlich werden Bauvorhaben immer noch von Menschen abgewickelt, sie werden aber immer digitaler. Gebäude werden immer mehr mit Daten beschrieben.»
Diese Aussagen beschreiben die aktuellen Herausforderungen der Baubranche bereits recht gut. Der Blick auf vier aktuelle Trends hilft, sie noch präziser zu erfassen.
Die künstliche Intelligenz birgt durch ihre aussergewöhnlichen Fähigkeiten bei der Problemlösung, der Datenverarbeitung und der Automatisierung von Aufgaben ein hohes Potenzial für innovative Geschäftsmodelle in der Baubranche. Dies betrifft insbesondere Vertragsprüfungen, das Rechnungswesen allgemein, Projektabwicklungen, die Pflege der Datenbestände des Gebäudeparks Schweiz, Baugesuche und Submissionen sowie digitale Baueingaben. Automatisierung und Robotik wie Drohnen für Baustelleninspektionen, 3D-Druck von Gebäudeteilen und künstliche Intelligenz zur Optimierung von Arbeitsabläufen werden auf den Baustellen zunehmend zum Einsatz kommen.
Computergestützte standardisierte Prozesse in Planung und Fertigung ermöglichen komplexe wie gestalterisch anspruchsvolle Gebäude zu niedrigen Kosten. Diese Bausysteme reduzieren Schnittstellenverluste und erreichen hohe Qualitätsstandards durch die Herstellung in Werkhallen statt vor Ort. Besonders der industrielle Holzbau in verschiedenen Ausprägungen ist hier schon sehr weit fortgeschritten.
Als ein Hauptverursacher von CO₂-Emissionen und Materialverbrauch wächst der Druck auf die Baubranche, umweltfreundlichere und ressourceneffiziente Methoden zu entwickeln. Zertifizierungen nach SDG-Vorgaben (Sustainable Development Goals) setzen neue Standards für nachhaltige Gebäude. Der Trend zu Smart Cities erfordert intelligente Baukonzepte, die auf IoT (Internet of Things) basieren. Konzepte wie Co-Living oder Mehrgenerationenhäuser tragen dem demographischen Wandel Rechnung. Dies erfordert nicht nur technologische Kompetenz, sondern auch eine neue Denkweise in Bezug auf städtische Planung und Bauausführung.
Forschende am Structural Xploration Lab an der EPFL haben untersucht, wie sich aus einem Rückbau wiedergewonnene tragende Elemente am besten in ein statisches System einfügen lassen (optimum reuse). Das Projekt «reuse of cut concrete» zeigt, wie Betondecken einer Wiederverwendung zugeführt werden können, indem sie geschnitten statt gebrochen werden. Beide Anwendungen könnten ein neues Geschäftsmodell für Bauunternehmen oder spezialisierte Firmen darstellen.
Die Mission des «Circular Construction Catalyst» ist die Koordination der Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Gemeinsam mit Fachpersonen werden Projekte initiiert, um die bestehenden Lücken an Anforderungen und Bedingungen zu füllen, mit dem Ziel, die Umsetzung zirkulären Bauens zu vereinfachen. Ergebnisse werden als Grundlagen und Best Practices veröffentlicht. Fachstellen können diese – wo sinnvoll – gemäss ihren Prozessen weiterentwickeln und in relevante Dokumente aufnehmen.
Ein wesentlicher Faktor für Innovation ist Open-Source. Die offene Zusammenarbeit zwischen Unternehmen legt den Schwerpunkt auf gemeinsame Standards und offene Werkzeuge – das Internet als Beispiel ist ohne diese nicht vorstellbar. opensource.construction überträgt dieses Prinzip auf die Bauwirtschaft.
Das Projekt «Circular Construction Copilot» orientiert sich an den spezifischen Bedürfnissen von Planenden, die sich mit Kreislaufwirtschaft und nachhaltigem Bauen beschäftigen. Für einen dynamischen Wissensaustausch in den Bereichen Planen, Bauen und Betreiben setzt es digitale Werkzeuge ein.
Mit dem modularen Forschungs- und Innovationsgebäude NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) überbrücken die beiden Schweizer Forschungsinstitute Empa und Eawag die Lücke zwischen Forschungslabor und Markt. Die dort installierten Forschungs- und Innovationsmodule tragen dazu bei, dass neue nachhaltige Lösungen im Bauwesen schneller Fuss fassen können.
Diese Trends haben auch Auswirkungen darauf, wie wir in Zukunft arbeiten und führen zu folgenden Leitfragen: Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt? Und was ändert sich für Unternehmen?
Die Balance zwischen der Automatisierung von Prozessen und dem Erhalt des menschlichen Faktors in der Arbeitswelt wird zu einer zunehmenden Herausforderung für Unternehmen. Das Voranschreiten der technologischen Entwicklungen führt in vielen Bereichen zu einer deutlichen Veränderung der Arbeitsprozesse. Traditionelle Berufe könnten verschwinden oder stark verändert werden. Hochqualifizierte Tätigkeiten in Bereichen wie KI, Daten, Softwareentwicklung, Gesundheitswesen und Ingenieurwesen werden stark zunehmen. In der Folge wird die Nachfrage nach spezialisierten Arbeitskräften, die neue Technologien nutzen können, steigen. Im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung werden neue Berufe entstehen, vor allem an der Schnittstelle zwischen Technologie und menschlicher Interaktion. Berufe in der Verwaltung mit einem hohen Anteil an repetitiven Aufgaben werden durch automatisierte Prozesse ersetzt. Die digitale Baueingabe ist hierfür ein Beispiel.
Die Baubranche muss sich von traditionellen Arbeitsstrukturen lösen und Optionen wie Remote-Arbeit und flexible Arbeitszeiten bieten. Dies trägt nicht nur zur Mitarbeiterzufriedenheit bei, sondern ermöglicht es auch, ein breiteres Spektrum an Talenten anzuziehen, insbesondere junge Fachkräfte, die oft Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance legen. Die Förderung von Geschlechterdiversität, die Integration von Mitarbeitenden mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund sowie die Schaffung von inklusiven Arbeitsumgebungen und Chancengleichheit werden zu zentralen Merkmalen einer innovativen Branche.
Der Fachkräftemangel in der Baubranche ist ein anhaltendes Problem, das durch den technologischen Wandel verschärft wird. Als Lösung bietet sich die Automatisierung an: Maschinen und KI können Arbeiten übernehmen, für die keine qualifizierten Fachkräfte erforderlich oder verfügbar sind. Gleichzeitig werden für die Umsetzung der Automatisierung hochqualifizierte Arbeitskräfte gebraucht, womit einerseits der Bedarf an solchen Fachpersonen wächst, andererseits der Qualifizierungsdruck für die Mitarbeitenden steigt. All das mündet in einen Wettbewerb um Talente: Die Bauindustrie konkurriert mit anderen Sektoren um junge, technologieaffine Arbeitskräfte.
Unternehmen müssen sich gut überlegen, mit welchen Vorteilen sie als Arbeitgebende punkten wollen. Fünf Wochen Ferien, Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Gratisparkplätze, faire Pensionskassenlösungen, Gratiskaffee oder Obstkörbe reichen heute kaum mehr, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Gerd Gigerenzer, Psychologe und Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, empfiehlt bei der Rekrutierung: «Investieren Sie viel in die Einstellung guter Leute und lassen Sie sie dann ihre Arbeit tun.» (Gerd Gigerenzer, Wolfgang Gaissmaier: Intuition und Führung. Wie gute Entscheidungen entstehen. Konstanzer Online-Publikations-System, 2012)
Eine Folge dieses Wandels zum Arbeitnehmermarkt ist die bessere Verhandlungsposition der Mitarbeitenden. Erhalten sie von einer anderen Firma ein besseres Angebot, ist die Verlockung gross, dieses auch anzunehmen oder zumindest mit dem bisherigen Arbeitergeber in Verhandlungen zu treten. Umso wichtiger wird die Mitarbeitendenbindung – für die es bereits KI-gestützte Lösungen gibt, die helfen, um Anliegen und Potenziale der Menschen zu erkennen, und die versprechen, die Fluktuation in hohem Mass zu reduzieren. Hubert Rhomberg, Geschäftsführer der Rhomberg Holding, formulierte es in einem Post auf LinkedIn vom 12.11.2023 so: «Mitarbeiter, die sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen, werden bleiben und sogar neue Talente anziehen.»
Der digitale Wandel führt zu einer Überschneidung der Geschäftsfelder verschiedenster Branchen und Unternehmen: Immer mehr Marktteilnehmende müssen ihre althergebrachten Geschäftsmodelle infrage stellen und sich auf neue Wettbewerbsbedingungen einstellen. Das Tempo dieser Entwicklung wird exponentiell zunehmen, mit Auswirkungen auf Individuen und Unternehmen samt ihrer Kultur.
In der Baubranche wird die Unternehmenskultur offener und flexibler werden müssen, um sich frühzeitig auf Veränderungen einzustellen und Innovationen zu fördern. Hierarchische Strukturen werden durch flachere Organisationsformen ersetzt. Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg und ein stärkerer Fokus auf Teamarbeit werden entscheidend sein, um komplexe Projekte erfolgreich umzusetzen. Eine Kultur des Wissensaustauschs, des Vertrauens, der Transparenz und der Kollaboration wird essenziell, insbesondere angesichts des demographischen Wandels und des Mangels an Fachkräften.
Zudem wird das Thema Sicherheit und Wohlbefinden der Mitarbeitenden stärker in den Fokus rücken, da moderne Technologien auch neue Gesundheits- und Sicherheitsrisiken mit sich bringen können. Neben Angeboten zur Weiterbildung werden Massnahmen zur Stressbewältigung und zur Förderung der psychischen Gesundheit zur Pflicht.
Als äusserer Faktor wirkt das Kunden- und Nutzerverhalten auf die Unternehmen ein. Alle Produkte sollen einfach und möglichst sofort verfügbar sein. Für Information und Beratung bleibt wenig Zeit. Um Kunden zu erreichen oder ihre Bedürfnisse abzuholen, sind deshalb kreative Lösungen gefragt.
Der Wandel in der Schweizer Baubranche bietet enorme Chancen, insbesondere im Bereich der Effizienzsteigerung, Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Gleichzeitig erfordert er aber auch eine Anpassung der Arbeitskräfte, Investitionen in neue Technologien und eine strategische Neuausrichtung von Unternehmen.
Der zweite Teil des Beitrags folgt im Januar 2025 sowie im Bulletin 1/25 und geht auf generationenübergreifende Zusammenarbeit sowie auf individuelle Fragen und Chancen ein.
*Johannes Herold war bis März 2024 Leiter Weiterbildung bei CRB und arbeitet jetzt als freiberuflicher Autor (schreibweise.jetzt).