Verantwortung gemeinsam tragen

  

Durch die fortschreitende Digitalisierung verändern sich alle Bereiche der Planungsbranche. Alan Müller Kearns erläutert, wie sich der Wandel auf die Tätigkeit und die Rollenbilder der Ingenieurinnen und Ingenieure auswirkt.  
Interview: Gaby Jefferies
29.06.2023

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich aktuell in Ihrem Berufsalltag?
Neben der Begleitung und Steuerung von Projekten in der Planung, Realisierung und Beratung, die weiterhin meine Kerntätigkeiten als Ingenieur sind, beschäftigen mich als Geschäftsleiter eines grossen Planungsbüros die vielfältigen Herausforderungen im aktuellen Geschäftsumfeld. Dabei setze ich mich intensiv mit Fragestellungen auseinander, die sich aus den teilweise beschleunigten Umwälzungen in der Planungsbranche ergeben: Welche Fähigkeiten und welche Strukturen sind zukünftig erforderlich, um im Markt bestehen zu können? Welche Rolle nehmen Ingenieure bzw. Planer im Allgemeinen in den zukünftigen Planungs- und Realisierungsprozessen ein? Sind wir bereit, diese Veränderungen wahrzunehmen und uns entsprechend weiterzuentwickeln?

Vor welchen Herausforderungen stehen die Ingenieure heute?
Die Herausforderungen sind sehr vielfältig. Sie betreffen unter anderem die Rekrutierung neuer und die Weiterentwicklung der bestehenden Mitarbeitenden in einem sehr dynamischen und anspruchsvollen Umfeld, die Digitalisierung der Planungs- und Bauprozesse, die wachsende Komplexität und Langfristigkeit von Infrastrukturprojekten verbunden mit einer zunehmenden Unberechenbarkeit von externen Einflüssen – diese können sich im Verlauf eines Projekts stark verändern. Hinzu kommt aktuell ein wirtschaftliches Umfeld, das durch steigende Kosten (Inflation) und einen weiterhin hohen Marktdruck bei den Honoraren geprägt ist. 

 

Wie werden Sie dabei von suisse.ing, der Schweizerischen Vereinigung Beratender Ingenieurunternehmungen, unterstützt?
Der Verband suisse.ing steht in engem Austausch mit den weiteren Interessengruppen im Bauwesen, insbesondere den öffentlichen Bauherrschaften, aber auch der ausführenden Bauwirtschaft, der Lehre und weiteren Verbänden. So kann er auf die Rahmenbedingungen unserer Tätigkeiten Einfluss nehmen und die verschiedenen Interessen der Planungsbüros auf politischer und wirtschaftlicher Ebene vertreten. Das Herausarbeiten von gemeinsamen Positionen innerhalb der Planungsbranche und die Bündelung der Interessen eines weiterhin heterogenen und kleinstrukturierten Berufsumfelds stellen dabei eine zentrale Herausforderung dar. 

 

Warum heisst die Organisation jetzt suisse.ing?
Mit dem neuen Namen soll unterstrichen werden, dass hinter dem Verband die Ingenieurinnen und Ingenieure der Schweiz stehen. Zudem spielt der Name «suisse.ing» auch auf die zunehmende Digitalisierung in der Planerbranche an.

 

Wie wichtig sind die Themen Digitalisierung und BIM für suisse.ing?
Die Digitalisierung durchdringt alle Bereiche der Planungsbranche, wobei die Entwicklung und Einführung von BIM nur ein Teil davon ist. Die ersten grossen Digitalisierungsschritte haben bereits über mehrere Jahrzehnte zu tiefgreifenden Umwälzungen in der Branche geführt, sei es mit der Einführung von rechnergestützten Berechnungsmethoden, von CAD oder mit der rasanten Entwicklung der Telekommunikation. Mit BIM findet nun die logische Fortsetzung dieser Entwicklungen statt, indem jetzt die Prozesse der Planung und Realisierung, aber auch des Betriebs und Unterhalts dank den digital verfügbaren Informationen und Daten neu strukturiert und vernetzt werden. Insofern sind Digitalisierung und speziell BIM zentrale Themen von suisse.ing, da sie das Selbstverständnis der Planungsbranche in seinen Grundfesten verändern. Die Rahmenbedingungen (gesetzlich, normativ, strukturell) werden neu geordnet, die Rollenbilder der Planenden können sich zukünftig fundamental verändern. Der Verband will die sich daraus ergebenden Chancen nutzen, um den Beruf des Ingenieurs auch für jüngere Generationen attraktiv zu gestalten. 

 

Wie wichtig sind die Themen Digitalisierung und BIM in Ihrem Unternehmen?
Mit dem aktuellen Digitalisierungsschub sind wir in der Lage, orts- und zeitunabhängig unsere Aufgaben gemeinsam zu erfüllen. Dadurch werden die internen Geschäftsprozesse neu geordnet und zeitlich und thematisch miteinander verknüpft. Die durchgängige Verfügbarkeit von Informationen und Daten schafft eine neue Form der internen Transparenz und steigert die Eigen- und Mitverantwortung aller Mitarbeitenden. Dadurch werden hierarchisch gewachsene Strukturen in Frage gestellt, die Rolle der Teams, die vertrauensbasierte Zusammenarbeit und das gemeinsame Tragen von Verantwortung rücken in den Vordergrund. Mit BIM entstehen auch neue Aufgabengebiete in der Projektabwicklung, die durch die bisherigen klassischen Anforderungsprofile von Projektleitern, Sachbearbeitern und Konstrukteuren nicht mehr abgedeckt werden können. Die Rollenbilder werden derzeit neu definiert. 

 

Und für Ihre Kunden?
Auch im externen digitalen Austausch mit den Bauherren, aber auch mit den Partnern in der Planung und den ausführenden Unternehmungen sind die Prozesse der Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs neu zu denken und zu optimieren. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen in der Festlegung von Verantwortlichkeiten. Die Systemgrenzen zwischen den Interessengruppen werden fundamental in Frage gestellt. Wer verantwortet die Grundlagendaten? Wer trägt die Verantwortung für ein BIM-Datenmodell in der Ausführung? Wer hat die Datenhoheit und verantwortet deren Sicherheit? Wie werden Änderungen in einem Datenmodell kommuniziert, dokumentiert und umgesetzt, insbesondere in der Ausführungsphase? In diesen Fragestellungen bestehen noch grosse Unsicherheiten und der Handlungs- bzw. Klärungsbedarf ist sehr gross. 

 

Wie ist vor diesem Hintergrund das Daten- und Informationsmanagement bei Ihnen organisiert?
Das Daten- und Informationsmanagement steht auch bei der Emch+Berger Gruppe in einem fortlaufenden Entwicklungsprozess. Gruppenweit gültige Anforderungen und Vorgaben sind dabei mit den lokalen Bedürfnissen der Konzerngesellschaften und Niederlassungen zu verknüpfen. Dabei sind vermehrt auch die teilweise sehr unterschiedlichen Ansprüche der Kunden und Geschäftspartner an das Daten- und Informationsmanagement in den Projekten zu berücksichtigen. Die Datenmanagementsysteme müssen somit offen genug sein, um den unterschiedlichen Ansprüchen zu genügen, aber auch strukturiert, standardisiert und gesichert, um die Anforderungen nach optimierten Arbeitsprozessen und hoher Sicherheit erfüllen zu können. Mit einer übergeordneten Führung der IT, gruppenweiten Standards und lokaler Umsetzung durch die Konzerngesellschaften meistern wir diese vielfältigen Herausforderungen und verfolgen die laufenden Entwicklungen auf verschiedenen Ebenen. Diesbezüglich werden zukünftige Branchenstandards von Bedeutung sein, um die Durchgängigkeit der Informationen zwischen Projektpartnern zu erleichtern. Hierzu leistet CRB mit seinen Produktentwicklungen, insbesondere dem BIM-Profil-Server, wertvolle Arbeit. 

 

Sie vertreten suisse.ing seit fünf Jahren im CRB-Vorstand. Was ist Ihre Motivation und was sind Ihre Prioritäten?
CRB erfüllt mit seinen Produkten und Branchenstandards eine wichtige Vermittler- und Vernetzungsrolle zwischen Bauherrschaft, Planenden und ausführenden Unternehmungen. Es stellt sicher, dass kommuniziert werden kann und bringt somit die Voraussetzungen und Möglichkeiten mit, um in den durch die Digitalisierung angestossenen Veränderungen der Planungs- und Bauprozesse zur Verständigung zwischen den Interessengruppen beizutragen. In diesem grundlegenden Transformationsprozess mittendrin mitwirken und die Sicht der Planer bzw. Ingenieure einbringen zu können, ist für mich eine grosse Motivation. 

 

Was ist Ihnen in Bezug auf die CRB-Strategie wichtig?
Für mich ist wichtig, dass die bei CRB eingebundenen Verbände die Interessen ihrer Mitglieder offen einbringen. Dadurch können wir auch in Zukunft in der Schweizer Baubranche ein gemeinsames Verständnis über die Leistungen in den Planungs- und Bauprozessen vermitteln, das die Entwicklungen in der Digitalisierung, insbesondere bei der Einführung von BIM, aktiv mitprägt und die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt. 

 

Welcher Nutzen aus der Anwendung der CRB-Standards ist für Sie von besonderer Bedeutung?
Die grosse Durchdringung und die hohe Akzeptanz der CRB-Produkte im Austausch mit Drittparteien, insbesondere mit den ausführenden Firmen. Die selbstverständliche Anwendung der CRB-Produkte, insbesondere des Normpositionen-Katalogs NPK, erachte ich als sehr wertvolle Errungenschaft in der Planung und Realisierung von Bauwerken. 

(vorher: USIC) 

Die Schweizerische Vereinigung Beratender Ingenieurunternehmungen suisse.ing setzt sich aktiv für die Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Ingenieur- und Planerbranche ein. Die suisse.ing wahrt die Interessen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Ingenieur- und Planerbranche im Spannungsfeld von Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Umwelt.