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Wir stehen erst am Anfang

Seit acht Jahren leitet Manfred Huber das Institut Digitales Bauen an der FHNW. Im Interview geht er auf den Wert der Zusammenarbeit ein, zeigt auf, warum es nie zu spät für eine Aus- oder Weiterbildung ist und was für ihn die grossen Herausforderungen der Baubranche sind. 

Interview: Michael Milz | 20.06.2024

Bis 2016 haben Sie das von Ihnen mitgegründete Baarer Architekturbüro aardeplan geleitet. Nun sind Sie seit acht Jahren an der FHNW am Institut Digitales Bauen in der Lehre und Forschung tätig. Fehlt Ihnen die Praxis?
Ich glaube nicht, denn wir haben an der FHNW viele Forschungsprojekte am Laufen, die wir für und mit der Praxis machen. Was ich nicht mehr machen kann, ist die klassische Architekturleistung. Aber die Perspektive ist breiter geworden, weil ich nun in viele andere Projekte hineinsehe, was ich vorher nicht konnte. Und ich sehe, wie andere Architektinnen und Architekten arbeiten.

Was kann man an Ihrem Institut lernen?

Unser Fokus liegt auf der integrierten Zusammenarbeit. Alle Gruppen von Akteuren – Bestellende, Planende und Ausführende – begeben sich auf einen Weg, um die Kunden- und Projektziele zu erreichen. Diese Zusammenarbeit fusst auf digitalen Werkzeugen, aber auch auf geeigneten Methoden und Werkzeugen aus dem sozialwissenschaftlichen und psychologischen Bereich. Dazu gehören auch die für eine Zusammenarbeit notwendigen Prozess- und Organisationsformen.

Welche Kompetenzen vermitteln Sie Ihren Studierenden?
Die Hauptkompetenz ist die Fähigkeit zur transdisziplinären Zusammenarbeit. Transdisziplinär heisst in diesem Zusammenhang nicht einfach mit einer anderen Disziplin oder Gruppe von Akteuren zusammenarbeiten, sondern die andere Disziplin oder Gruppe auch wirklich zu verstehen. Das bedeutet, dass ich mich als Architekt in die anderen Akteure hineinversetzen und fragen muss: Was brauchen die Bestellenden, was braucht die Bauingenieurin oder was der Gebäudetechniker?

 

Was prägt diese Art der Zusammenarbeit?
Sie beruht stark auf partnerschaftlichen Modellen und ist kooperativ und kokreativ. Die Leute müssen Sachen nicht mehr parallel oder seriell bearbeiten können, auch wenn das immer noch vorkommt. Es geht uns weniger darum, Wissen zu vermitteln – weil Wissen eine beschränkte Halbwertszeit hat – sondern um das Vorgehen, wie ich etwas anpacken kann.

 

Soll man sich mit dem Thema digitales Bauen noch auseinandersetzen, wenn man nur noch ein paar Jahre bis zur Pensionierung hat?
Das ist für mich eine rhetorische Frage! Die Frage ist eher: Möchte jemand eine Weiterbildung machen – also beispielsweise ein entsprechendes CAS – oder aufbauend auf einen Bachelor nochmals ein Masterstudium? Es gibt bei uns auch immer wieder Personen in diesem Alter, die an Weiterbildungsprogrammen teilnehmen, und auch im Master of Science in Virtual Design and Construction gibt es Teilnehmende im Alter zwischen 40 und 50 Jahren. Heute kann man mit 55 oder 60 nicht einfach auf die Pensionierung warten. Man verpasst sonst viel Spannendes!

 

Wie gehen Sie in der Lehre und Forschung damit um, dass Tools im Bereich digitales Bauen wie Pilze aus dem Boden schiessen?
Wir versuchen zu vermitteln, wie mit solchen Tools umzugehen ist, wie sie eingesetzt werden können. Wir sind nicht auf ein bestimmtes Tool fixiert, sondern wir helfen bei der Einordnung, was die Tools können, wo die Grenzen sind, was das Potenzial ist und wohin die Entwicklung gehen könnte.

 

Inwiefern hilft Ihnen die Erfahrung als Architekt bei Ihrer heutigen Tätigkeit?
Sehr stark, weil ich das Metier verstehe. Wenn ich in fremde Projekte sehe, und mir überlege, wie ich es gemacht habe, realisiere ich, dass die Bauwelt nicht viel weiter ist als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Dieser zeitliche Abstand hilft mir auch zu hinterfragen, ob die Ansätze, die wir heute verfolgen, die richtigen sind.

 

Wie stellen Sie denn sicher, dass die Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeit in die Praxis einfliessen und die Digitalisierung der Baubranche vorantreiben?
Zu jeder Forschung gehört im Grundsatz auch eine Validierung, damit ich nicht einfach nur ein Produkt erstelle, sondern auch beobachte, wie das Produkt genutzt wird. Im Idealfall werden schon in der Entwicklung immer wieder iterative und reziproke Prozesse angewendet, um die Benutzerseite einzubringen. Ist das nicht möglich, muss eine zeitnahe Validierung vorgenommen werden, wenn das Produkt schon eine gewisse Reife hat – sonst scheitert es. Ich muss erkennen, dass das, was ich für machbar halte, für die Mehrheit auch nutzbar ist. Ich musste in diesem Zusammenhang lernen, dass ich nicht den Menschen dazu bringen muss, einen Prozess richtig zu machen, sondern ich muss den Prozess dem Menschen anpassen.

 

Wo steht die Digitalisierung der Baubranche heute aus Ihrer Sicht?
Es sieht noch sehr ähnlich aus wie vor zehn oder fünfzehn Jahren. Im Englischen gibt es die beiden Wörter «digitisation» und «digitalisation». «Digitisation» meint beispielsweise einen Papierplan einzuscannen und ihn so zu digitalisieren – also die Digitalisierung eines Informationsträgers. «Digitalisation» schliesst hingegen auch neue Prozesse und Arbeitsweisen ein. Und da stehen wir erst am Anfang.

 

Was sind denn die grossen Herausforderungen?
Wir sind eine sehr stark fragmentierte Branche, und zwar horizontal wie vertikal. Horizontal heisst: Wir sprechen wenig mit denen, die gerade parallel an etwas arbeiten. Die vertikale Fragmentierung bezieht sich auf die Zeitachse, also auf die Phasen eines Bauprozesses. Diese Fragmentierung müssen wir überwinden, indem von Anfang an alle Beteiligten kooperativ und kokreativ zusammenarbeiten. Die CAD-Werkezeuge, die heute im Einsatz sind, sind im Kern vierzigjährig. Um diese neu zu denken, braucht es einen technologischen Quantensprung. Wir forschen an neuen Werkzeugen und Methoden, um diesen Quantensprung zu ermöglichen. Dafür braucht es Inputs von aussen, und es braucht junge Leute, die neu denken.

 

Informationsmanagement wird immer wichtiger bei der BIM-Planung. Mit dem BIM-Profil-Server gibt es eine datenbankgestützte Lösung für den Austausch von Informationen, die Ihr Institut gemeinsam mit CRB entwickelt hat …
Der BIM-Profil-Server ist ein möglicher Lösungsansatz. Er kann sagen, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt wo sein müssen – und das maschinen- wie menschenlesbar. Und mit dem Format IDS kann ich das auch prüfen. Ich kann den BIM-Profil-Server gut in agile, iterative Prozesse implementieren. Auf der Seite der Autorenwerkzeuge haben wir aktuell die Herausforderung, dass das Einpflegen dieser Informationen noch sehr aufwendig ist. Das muss einfacher werden.

 

Wer soll den BIM-Profil-Server anwenden?
Einfach gesagt: Leute, die Informationen bestellen. Das kann ein Gipser oder auch ein Bauherr sein. Ein Gipser beispielsweise braucht gewisse Informationen, um etwas zu offerieren und Arbeitsvorbereitungen in die Wege zu leiten. Theoretisch könnte der Gipsermeisterverband  nun im BIM-Profil-Server maschinell beschreiben,  welche Informationen zur Verfügung stehen müssen. Der BIM-Profil-Server wird von Personen genutzt, die solche Profile erstellen können. Er ist ein standardisiertes Bestellbüchlein, mit dem ich zudem automatisiert prüfen kann, ob meine Bestellung richtig ist.

 

Sie arbeiten seit Jahren in verschiedenen Projekten wie eBKP, LCC oder Kennwerte immer wieder mit CRB zusammen. Welche Bedeutung haben Standards für Sie?
Standards sind eine gemeinsame Sprache – und vielleicht noch sehr viel mehr als das. Sie beschreiben auch die Grammatik einer Sprache: Dank Standards ist klar, wann der Dativ kommt und wann der Akkusativ. Aber nicht alle, die eine Sprache sprechen, müssen auch darüber Auskunft geben können. CRB könnte sich Gedanken darüber machen, wie das Sprechen einfacher wird. Wir brauchen Technologien, die den Menschen an die Hand nehmen und ihn unterstützen. Bei einem Fahrassistenzsystem im Auto interessieren mich nicht die Standards, die dahinterstecken; das System soll mich einfach unterstützen.

 

Welche Entwicklungen werden das Bauen in den nächsten fünf bis zehn Jahren am meisten beeinflussen?
Ich glaube, dass die Branche intern zu träge ist und deshalb vermehrt Entwicklungen von aussen in die Branche getragen werden. Branchenfremde und auch jüngere Leute stellen neue und andere Fragen. Assistenzsysteme müssen helfen, auf Standards zu mappen. Wie das geht, zeigt ein Start-up namens comstruct.com anhand von Lieferscheinen: Das Unternehmen hat Tools entwickelt, die die individuelle Lösung eines einzelnen Baumeisters auf ihren Standard mappt und damit einen Durchbruch geschafft. So etwas muss auch in der Planung passieren. Dort haben wir bisher nur eine Digitalisierung der Werkzeuge beobachtet, nicht aber der Prozesse. Das wird der nächste grosse Sprung sein – KI-basiert oder mit intelligenten  regelbasierten Algorithmen. Es werden nicht nur neue Generationen von Rechnern kommen, es wird auch neue Generationen von Software brauchen, die den Menschen besser unterstützen.

 

Wer wird davon profitieren können?
Generell müssen wir statt Interessensgegensätzen Interessensgemeinschaften pflegen. Verschiebungen wird es vermutlich in der Softwareindustrie geben. Es wird darauf hinauslaufen, was wir in der Musikindustrie auch erlebt haben: Künstler gibt es immer noch, aber den CD-Verkäufer und den Hersteller von CDs und CD-Laufwerken gibt es nicht mehr. Es wird auch zu neuen Formen der Zusammenarbeit kommen. Es ist nicht mehr zwingend, dass eine Bauingenieurin  in einem Ingenieurbüro angestellt ist – sie kann auch heute schon bei einem Baumeister arbeiten, wenn ihr Know-how gefragt ist und umgekehrt. Am Ende profitieren auch Gesellschaft und Umwelt von diesen Veränderungen. Wir stecken so viele Ressourcen in das Bauen und am Ende schaut so wenig raus – das kann einfach nicht die Antwort für die Zukunft sein.