Standards sind für die Effizienzsteigerung essenziell

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Nachhaltigkeit ist für Hanspeter Stadelmann Überzeugungssache, nicht bloss ein Schlagwort. Im Interview spricht der Tiefbauspezialist über die Herausforderungen der digitalen Transformation und seine Motivation als neuer Stiftungsratspräsident des Campus Sursee.

Interview: Michael Milz | 23.09.2024

Was fasziniert Sie an Ihrer aktuellen Aufgabe bei Implenia?
Wir haben gruppenweit fantastische Projekte, die man in keiner anderen Schweizer Baufirma hat. An meinem jetzigen Job fasziniert mich, dass ich die 35 Jahre Erfahrung bei Implenia über alle Funktionen im Tiefbau einbringen kann. In meiner heutigen Funktion habe ich eine Matrix-Aufgabe, bei der ich mit unseren Projekten im Tunnelbau, Tiefbau und Spezial-Tiefbau in allen Ländern zu tun habe und entsprechend Einfluss nehmen kann.

Was sind die grössten Herausforderungen in Ihrem Berufsalltag?
Weil unsere Division in sechs Ländern tätig ist, sind wir sehr breit aufgestellt. Ich kümmere mich um Project Excellence und Services, was Quality, Safety, Sustainability, Lean Construction, BIM (Digitalisierung), und technisches Controlling umfasst. Weil sehr viele Kolleginnen und Kollegen involviert sind, ist die grösste Herausforderung dabei, alle Beteiligten an Bord zu holen. Ein wesentlicher Punkt ist die Informationsmenge, die permanent fliesst und die wir verarbeiten müssen und wollen.

Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit bei Implenia?
Sowohl für Implenia als auch für mich persönlich ist Nachhaltigkeit ein entscheidender Erfolgsfaktor. Im Bau hat Nachhaltigkeit einen sehr hohen Stellenwert: In der Bauphase befassen wir uns primär mit der Umwelt und dem Energiebedarf zur Realisierung. Bei einem Infrastrukturprojekt mit einer Lebensdauer von hundert Jahren ist bezüglich Nachhaltigkeit jedoch die Frage viel wichtiger, ob dieses Projekt in zwanzig Jahren überhaupt noch gebraucht wird und wie oft es während der gesamten Nutzungsdauer erneuert werden muss. Wir betrachten deshalb ein Projekt über seinen ganzen Lebenszyklus hinweg, inklusive Kosten und Kreislaufthemen. Bezüglich Nachhaltigkeit steht die gesamte Bauindustrie in der Pflicht, weil wir das unserem Planeten und unseren Nachkommen schuldig sind.

 

Wie gross sind hier die Einflussmöglichkeiten eines Unternehmens wie Implenia?
Implenia sucht permanent nach Lösungen, um der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Wir brauchen Geschäftsmodelle, um die Nachhaltigkeitsthemen wirtschaftlich interessant zu machen. Im Hochbau haben wir schon vor Jahren ein eigenes Label eingeführt und entwickeln nur noch Projekte, die bei gleichbleibenden Kosten einen Mindeststandard bezüglich Nachhaltigkeit erreichen – einen Standard, den vor allem die privaten und halbprivaten Investoren mittlerweile anwenden, weil sie davon überzeugt sind. In die gleiche Richtung arbeiten wir im Tiefbau.

 

Und sind Sie dabei auf Kurs?
Unter dem Strich ist heute in erster Linie «Net Zero» das Ziel: Wann sind wir CO2-neutral? Die Schweiz hat sich verpflichtet, bis 2050 CO2-neutral zu sein. Ich bin nicht sicher, ob das ausschliesslich mit Zielsetzungen erreichbar ist – es braucht Aktionen und Massnahmen, und wir suchen an allen Fronten danach. Wir möchten dieses Ziel früher erreichen, und dafür braucht es signifikante Fortschritte, vor allem bei den erneuerbaren Energien. Der Nutzung steht eigentlich nichts im Wege, aber wie speichern und transportieren wir diese Energie? Implenia engagiert sich beispielsweise in Norwegen im Rahmen von Offshore-Windparks. Um diese Ziele zu erreichen, benötigen wir Partnerschaften mit den Bestellern, den Bauherrschaften und der gesamten Branche.

 

Wie sieht es mit dem Thema Innovation aus?
Innovation zahlt sich erst dann aus, wenn eine gute Idee wirtschaftlich erfolgreich ist. Im Innovation Hub von Implenia geht es um strukturierte Verbesserungslogik im internen Ideen-Management. Das heisst, wir motivieren die Mitarbeitenden, Verbesserungspotenzial bei Prozessen, bei Produkten und Services oder auf Baustellen zu identifizieren und strukturiert voranzutreiben. Im Innovation Hub werden Ideen gesammelt, Business Cases aufgebaut und Mittel gesteuert eingesetzt, weil es für Innovationen neue Geschäftsmodelle und neue Ansätze braucht.  

 

Können Sie das anhand eines Beispiels zeigen?
Ein sehr gutes Beispiel kommt aus dem Tunnelbau: Im sogenannt drückenden Gebirge gibt es Konvergenzen, die von Druckelementen aufgenommen werden. Diese sind in der Regel aus Stahl, weil sie einen gewissen Widerstand haben müssen. Einer unserer Ingenieure, der damit arbeitete, war überzeugt, dass das auch anders und leichter gehen müsse. Daraus ist dann dank des Innovation Hub ein neues und wesentlich leichteres Modul entstanden, das wir nun im Tunnelbau einsetzen.

 

Seit Jahren treiben Sie die digitale Transformation bei Implenia voran. Was waren Ihre grössten Herausforderungen bisher?
Ich sehe die digitale Transformation als die grösste Chance, die die Bauindustrie in den letzten Jahrzehnten hatte. Digitale Transformation heisst, anders zu arbeiten und wirklich neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Eigentlich sind wir gut auf Kurs, kommen aber nicht ganz so schnell voran, wie wir uns das ursprünglich vorgenommen hatten. Weil man immer mehr weiss, verändert sich auch die Erwartungshaltung. Zudem müssen viele am Bau beteiligte Anspruchsgruppen umdenken. Dafür muss man sie Schritt für Schritt abholen und mitnehmen. Kurz gesagt: Es ziehen noch nicht alle am selben Strick, und so dauert es länger als erwartet. Unter Digitalisierung verstehen viele Visualisierung und Datendarstellung, was die Zusammenarbeit mit allen am Projekt Beteiligten erleichtert. Dieses partnerschaftliche Arbeiten ist der grosse Vorteil – das muss man vorantreiben. Wenn wir das hinbekommen, bin ich überzeugt, dass wir zwar nicht zwingend günstiger werden, aber Termine, Kosten und Qualität zuverlässiger planen und realisieren können.

 

Wie nehmen Sie die Mitarbeitenden hier mit?
Die Mitarbeitenden erwarten, dass ein ERP-System auf der Baustelle genauso nutzerfreundlich ist wie ein Handy. Auf diesen doch wesentlich komplexeren Systemen müssen wir die Mitarbeitenden gut schulen, damit sie den Mehrwert der Applikation fürs Projekt und für sich selbst auch wirklich sehen und nutzen können.

 

In diesem Frühjahr wurden Sie zum Stiftungsratspräsidenten des Campus Sursee gewählt. Was sind die wichtigsten Ziele, die Sie in dieser Funktion verfolgen?
In den zehn Jahren, in denen ich im Stiftungsrat bin, haben wir den Campus Sursee komplett verändert, viel investiert und gebaut. Vor zwei Jahren durfte ich das Vizepräsidium übernehmen, und wir haben auch die Strategie überarbeitet.

 

Was heisst das konkret?
Am Campus Sursee haben wir die einmalige Chance, für Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit die ganze Bildungslandschaft des Bauhauptgewerbes zu vereinen – einerseits über Partnerschulen für die Grundbildung, andererseits über den Campus selbst für die höhere Berufsbildung und die Weiterbildung. Wir haben vor rund fünf Jahren mit Blended Learning begonnen, kompetenzorientiert und mit interaktiven Lernplattformen zu unterrichten. Bereits seit zwei Jahren vermitteln wir in unserem BIM-Labor die benötigten digitalen Kompetenzen stufengerecht in allen Aus- und Weiterbildungen. Aktuell sanieren wir eines unserer Gebäude als Projekt AllianzOne in einem kollaborativem Zusammenarbeitsmodell mit gemeinsam von allen am Bau Beteiligten getragenen Kosten-, Qualitäts- und Terminzielen. Wir stellen sicher, dass die Baufachleute mit den Kompetenzen ausgerüstet werden, die sie in Zukunft benötigen und leisten so einen grossen Beitrag zur Weiterentwicklung der Branche.

 

Was macht denn die Motivation aus, in der Baubranche arbeiten zu wollen?
Wenn wir den Wohlstand in der Schweiz erhalten möchten, dann brauchen wir eine funktionierende Infrastruktur – egal, ob Bahn oder Strasse, unterirdisch oder oberirdisch, Flughäfen oder Veloständer, Wasser oder Strom, Ver- oder Entsorgung. Wenn wir als Bauindustrie mit Überzeugung und Leidenschaft daran arbeiten, diesen Wohlstand zu erhalten – was soll daran nicht motivierend sein?

 

Im Magazin des Campus Sursee vom März 2024 haben Sie gesagt, dass der Campus Sursee hinsichtlich der Megatrends Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft «eine Vorreiterrolle in der Ausbildung einnehmen» wird. Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Wir müssen heute Fähigkeiten und Kompetenzen ausbilden, die die Branche morgen braucht. Konkret: nicht einzelne Tools schulen, sondern die Kompetenzen rund um digitale Arbeit. Am Campus haben wir auf kompetenzorientierte Schulung umgestellt und unterrichten in grossen Teilen im Flipped-Classroom-System: Die Lernenden und Studierenden erarbeiten die Theorie selbstständig zu Hause, im Campus wird das Erlernte praktisch angewendet und vertieft. Zudem haben wir angefangen, Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger anzusprechen und für die Bauberufe zu motivieren. Dank unserer Struktur und unserer Anbindung können wir Schulungsinhalte produzieren, die wir auch – selbstverständlich nicht kostenlos – anderen Schulen zur Verfügung stellen. Daraus kann ein Schweizer Standard entstehen. Wenn wir das alles kontinuierlich weiterentwickeln, werden wir zum Vorreiter.  

 

Beim Campus Sursee sind Sie in Sachen Aus- und Weiterbildung direkt am Puls des Geschehens. Wie begegnen Sie dem Fachkräftemangel in der Branche?
Das hat sehr viel mit Ausbildung zu tun. Und Ausbildung heisst für mich: Leute dort fördern, wo sie stark sind und dort einsetzen, wo ihre Kompetenzen liegen, damit sie motiviert bleiben für ihren Job. Das Hauptproblem mit den Fachkräften ist die Demografie. Die geburtenstarken Jahrgänge kommen zunehmend ins Pensionsalter und damit verlassen viele erfahrene Leute die Branche. Es darf nicht passieren, dass wir die jungen Leute, die wir ausbilden, nicht in der Branche halten können, weil die Arbeitsbedingungen zu wenig attraktiv sind. Mit «Wir bauen auf Frauen» haben wir zudem eine Initiative gestartet, die in Richtung Diversität geht, was für mich aber nicht nur mit Frauen zu tun hat. Es geht auch darum, verschiedene Nationalitäten oder Menschen, die aus irgendeinem Grund eingeschränkt sind, zu integrieren. Die Baubranche muss für Frauen attraktiver werden, sonst geht uns viel Potenzial verloren. Entscheidend ist, wie wir die Arbeit organisieren, damit auch die Familie Platz hat – über neue Arbeitszeitmodelle etwa und das gilt für Frauen sowie für Männer. Die skandinavischen Länder sind uns da weit voraus. Am Campus haben wir den Stiftungsrat entsprechend zusammengesetzt – mit Erfolg, der damit verbundene Kulturwandel ist höchst erfreulich. Der Campus Sursee wird von einer Frau geführt – nicht, weil man zwingend eine Frau wollte, sondern weil sie von guten Kandidatinnen und Kandidaten die beste Wahl war.

 

Seit siebeneinhalb Jahren engagieren Sie sich als Vertreter des Schweizerischen Baumeisterverbands SBV auch im CRB-Vorstand. Welche Bedeutung messen Sie der Standardisierung bei?
CRB begleitet mich schon mein ganzes Arbeitsleben bei der Implenia, und das vom ersten Tag an. Die Aufgabe von CRB besteht für mich darin, eine gemeinsame Sprache für den Bau zu schaffen, zu unterhalten und weiterzuentwickeln. Im Bewusstsein, dass der Wandel kommt, über den wir vorher gesprochen haben, muss diese Sprache angepasst werden. Grundsätzlich brauchen wir die Standardisierung, davon bin ich hundertprozentig überzeugt. Digitale Transformation setzt auf digitale Mittel, und diese Sprache funktioniert nur, wenn die Algorithmen dahinter auf definierten Standards basieren. Standards sind für die Effizienzsteigerung essenziell. Wenn wir das nicht hinkriegen, verwendet jedes Unternehmen eine eigene Sprache, die wieder zurücktransformiert werden muss in eine Sprache, die die ganze Branche versteht. Wir haben diese Sprache in der Schweiz in Gestalt des NPK – allerdings ausgehend von der Papierform, die digital nur bedingt nutzbar ist. Wir brauchen eine solche Sprache, die wir durchgängig in digitalen Systemen nutzen können, und zwar für alle am Bau Beteiligten. Wenn wir diese digitale Sprache nicht schaffen, dann machen das andere, und dann werden wir keine schweizweite Standardisierung mehr haben. Deshalb braucht es CRB, und daher ist auch die Strategie, für die wir uns im CRB-Vorstand entschieden haben, die richtige – diese Zielsetzung werden wir konsequent verfolgen.